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Agrarforschung
Artenschutzprogramm Gebirgsgrashüpfer (Stauroderus scalaris Fischer von Waldheim, 1846) Untersuchungen im Raum Münsingen, Schwäbische Alb

Dr. P. Detzel, Gruppe für ökologische Gutachten, Stuttgart
März 1999 - Dezember 1999

Problemstellung

Anlaß für die Untersuchungen zum Gebirgsgrashüpfer war, daß diese Art auf der Schwäbischen Alb mit nur einer Kernpopulation vorkommt. Daraus resultiert auch die Einstufung in der Roten Liste als 'Vom Aussterben bedroht'. Ausschlaggebend für das konzipierte Artenschutzprogramm Gebirgsgrashüpfer war die Verantwortung Baden-Württembergs für den Erhalt dieser Art in der Fauna Deutschlands.

Die letzte Spenderpopulation liegt in dem landwirtschaftlich kaum genutzten, großflächigen Truppenübungsplatz Münsingen. Sollte dieser Platz Nutzungsänderungen unterliegen, würde die Heuschreckenart auf der Schwäbischen Alb eventuell aussterben.

Ziel

Ziel des Forschungsvorhabens war es, Informationen über die aktuelle Gefährdungssituation, die Habitatansprüche sowie über mögliche Maßnahmen zum Schutz der Art zu gewinnen.

Untersuchungsmethode

Zuerst wurde ein Überblick über den Kenntniszuwachs und die Veränderungen der tatsächlichen Verbreitung des Gebirgsgrashüpfers während der letzten 110 Jahre erstellt. Hierzu wurden Verbreitungskarten in unterschiedlichen Maßstäben erstellt. Eine intensive Suche nach Vorkommen des Gebirgsgrashüpfers innerhalb und außerhalb des Truppenübungsplatzes erfolgte in den Monaten Juli bis September. Während dieser flächenhaften Erfassung potentieller und tatsächlicher Lebensräume wurden innerhalb des Truppenübungsplatzes ca. 330 ha und außerhalb des Platzes ca. 2150 ha Heiden- und Grünlandflächen begangen. Bei der Erfassung von Vorkommen wurden echte Populationen und Männchenaggregationen unterschieden. Auf zahlreichen, durch den Gebirgsgrashüpfer besiedelten Flächen, wurden die Begleitarten dokumentiert. Für insgesamt 32 Fundorte von Populationen wurden die Habitatparameter mittels Biotopstruktur- und Vegetationsaufnahmen nach BRAUN-BLANQUET erfaßt. Die Größe der Vegetationsaufnahmequadrate betrug 25m 2 die Auswahl erfolgte subjektiv nach Homogenität und Repräsentativität.

Ziel war es, neben einer aktuellen Dokumentation der Bestände, genügend Daten für eine Gefährdungsanalyse und der Formulierung von Schutzmaßnahmen zu erhalten.

Ergebnis

Ausgangssituation

Erste Nachweise des Gebirgsgrashüpfers stammen aus dem Jahr 1888 von der Pfullinger Wanne. Die durch FABER (1953) teilweise publizierten Funde im Bereich von Pfullingen wurden ergänzt durch Belegtiere in der Sammlung Faber und der Sammlung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart. Die Vorkommen im NSG Ursula Hochberg sind bis ins Jahr 1973 durch Museumstiere belegt.

Bis zu den Bestandserhebungen auf dem Truppenübungsplatz im Jahr 1988 (DETZEL 1989) lagen seither aktuelle Meldungen nur von Einzelfunden des Gebirgsgrashüpfers vor. Flächenhafte Untersuchungen im Großraum Münsingen wurden Anfang der 90er Jahre durch die Arbeitsgruppe Plachter von der Universität Marburg im Auftrag des Umweltministeriums Baden-Württemberg durchgeführt. Im Rahmen dieser Untersuchungen konnten außerhalb des Truppenübungsplatzes nur Männchen nachgewiesen werden.

Im Jahr 1994 erfolgte durch die agl-Ulm im Auftrag der Wehrbereichsverwaltung (WBV) eine flächendeckende Kartierung (Erfassung) der Heuschreckenarten des Truppenübungsplatzes. Deren Ergebnisse bezüglich des Gebirgsgrashüpfers wurden im Bericht (als Karte) dokumentiert.

Aktuelle Situation

Außerhalb des Truppenübungsplatzes wurden insgesamt 75 Teilflächen mit einer Gesamtflächengröße von 2146 ha nach Vorkommen des Gebirgsgrashüpfers abgesucht. Die Teilflächengröße variierte dabei von ca. 1,5 ha bis 156 ha. Trotz gezielter Suche und Begehung auch von ehemals besiedelten Flächen gelangen auf 56 Teilflächen keine Nachweise des Gebirgsgrashüpfers. In 15 Teilflächen waren entweder Einzeltiere oder sehr kleine Populationen anzutreffen. Vier Teilflächen wiesen große Populationen auf.

Innerhalb des Truppenübungsplatzes erfolgte keine flächendeckende Kartierung von Vorkommen. Vielmehr wurden über den Platz verteilt 24 Teilflächen mit einer Größe von ca. 0,25 ha bis ca. 45 ha mit insgesamt 328 ha Gesamtfläche bearbeitet. Hierbei wurde insbesondere auf eine Überprüfung von früheren Angaben, Aufnahmen zu Vegetationszusammensetzung sowie zur Biotopstruktur und Zusammensetzung der Heuschreckenzönose geachtet. Von insgesamt 24 Flächen wiesen 3 Flächen keine Vorkommen des Gebirgsgrashüpfers auf, 13 Flächen Einzeltiere oder kleine Populationen und 8 Flächen wurden von großen Populationen besiedelt.

Die Auswertungen der erhobenen Struktur- und Vegetationsparameter lassen folgende Aussagen zu:

  • Offene Bodenstellen wirken sich positiv auf die Populationsgröße aus
  • Standorte mit hoher Vegetationsdeckung werden bevorzugt
  • Alle Standorte weisen eine hohe Evenness der Vegetation auf
  • Im Untersuchungsgebiet werden die höchsten Grünlandbiotope besiedelt
  • Es handelt sich fast immer um extensiv schafbeweidete Standorte
  • Die besiedelten Standorte sind als trocken bis mäßig feucht zu bezeichnen
  • Standorte mit einer Vegetationshöhe unter 100 cm werden bevorzugt
  • Durchschnittlich weisen die Pflanzengesellschaften eine hohe Deckung im Bereich von
    5 - 50 cm auf mit einem Schwerpunkt bei 10 - 25 cm
  • Die Exposition scheint als einzelner Habitatparameter keine Rolle zu spielen
  • Der Stickstoffwert scheint als einzelner Parameter keine Rolle zu spielen
  • Standorte mit einheitlich vertikal oder horizontal orientierten Pflanzenbeständen werden nicht besiedelt

Der Gebirgsgrashüpfer war am häufigsten gemeinsam mit folgenden Heuschreckenarten anzutreffen: Chorthippus parallelus, Tettigonia cantans, Metrioptera roeselii, Euthystira brachyptera und Omocestus viridulus. Diese Artenkombination könnte als Kriterium für die Suche nach potentiell geeigneten Habitaten verwendet werden.

Im vorliegenden Fall, mit nur einem Hauptvorkommen als Spenderpopulation, können die Tiere in der Umgebung nur aus dem Zentrum kommen. Eine Zuordnung ist dadurch eindeutig. Somit stellt das Vorkommen des Gebirgsgrashüpfers auf der Schwäbischen Alb aufgrund der Eindeutigkeit einen wissenschaftlichen Glücksfall dar. Es konnte eine mittlere Wanderleistung der Männchen von ca. 4600 m und der Weibchen von ca. 2400 m ermittelt werden. Die bisher bekannte Höchstwanderleistung ist für Männchen 6290 m und für Weibchen 5500 m.

Als Isolationsfaktoren (Barrieren) zwischen Teilpopulationen können große Waldflächen, Geländemorphologie, große gemulchte Flächen und landwirtschaftliche Nutzflächen, u.a. Ackerflächen sowie Siedlungen fungieren. Die Entfernungen zwischen einzelnen potentiellen Lebensräumen scheinen prinzipiell nicht zu groß, um von der Art überbrückt zu werden. Jedoch können auch populationsdynamische Faktoren dazu beitragen, daß geeignete Flächen nicht besiedelt werden.

Für den Truppenübungsplatz wurden die nicht oder kaum besiedelbaren Flächen aufgezeigt. Entsprechend den oben aufgelisteten Faktoren handelt es sich hierbei um Wald, Gehölze, Acker, Schießbahnen mit teilweise gemulchten Flächen und versiegelte Flächen. Deutlich zeigt sich, daß Tiere des Gebirgsgrashüpfers nur in sehr geringer Zahl in diesen wenig geeigneten Flächen vorkommen. Als Effekt zeigt sich aber auch, daß für eine Besiedlung der Umgebung nur insgesamt vier Korridore frei bleiben. Diese Korridore werden aktuell auch von den wanderfreudigen Individuen genutzt.

Die aktuelle Situation auf dem Truppenübungsplatz ist deutlich günstiger als bei der ersten Erfassung 1988. Es werden zwar große Flächen aufgrund von speziellen Bewirtschaftungsmaßnahmen nicht besiedelt, doch ist die verbleibende Restfläche immer noch mehrere tausend Hektar groß. Veränderungen auf dem Übungsplatz sind in erster Linie durch veränderte Anforderungen der übenden Truppe bedingt. Diese wiederum stehen in direktem Zusammenhang mit politischen Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr. Hier liegt sicherlich der größte Unsicherheitsfaktor für die Zukunft des Gebirgsgrashüpfers.

Es sollte deshalb unbedingt der Versuch unternommen werden, die aktuell gute Populationssituation für eine Sicherung des Gesamtbestandes auf der Alb zu nutzen. Dies ist nur durch die Schaffung selbständiger, langfristig überlebensfähiger Lokalpopulationen außerhalb des Platzes möglich.

Für die Durchführung einer Gefährdungsanalyse wurden die unbedingt notwendigen Parameter ermittelt:

Die Minimale Populationsgröße (MVP) liegt zwischen 250 und 1000 Individuen; die aktuelle Populationsgröße außerhalb des Platzes bei max. 400 Individuen; der Schwankungsfaktor liegt zwischen 10 und 300 und die mittlere Wanderdistanz beträgt ca. 2400 m.

Selbst bei der optimistischen Annahme daß bereits 250 Tiere als MVP genügen könnten, müßte die tatsächliche Population mindestens 500 Tiere betragen. Aktuell ist somit keine der kleinen Lokalpopulationen außerhalb des Platzes überlebensfähig.

Konsequenz für die Praxis

Zur Sicherung eines Vorkommens sollten außerhalb des Truppenübungsplatzes mehrere Lokalpopulationen auf eine jeweilige Mindestpopulationsgröße von ca. 500 Individuen entwickelt werden.

Hierzu eignen sich die Vorkommen bei Zainingen (Zainingen Skilift und alter Zaininger Steinbruch), die Population Nattenbuch, die Population im Rummeltal sowie die Vorkommen am Hungerberg. Zur Stützung der Bestände ist ein Verbund zwischen den Vorkommen am Nattenbuch und den Vorkommen bei Zainingen notwendig. Die Wanderkorridore von Tieren aus dem Platz in die Umgebung sollten unbedingt durchgängig gehalten werden. So müßten bereits bestehende Aufforstungen aus Artenschutzgründen entfernt werden. In den Korridoren sollte Grünland und Heide dominieren.

Aktivitäten im Sinne von Habitatoptimierungen sollten in den Zielregionen der Korridore ansetzen. Hier ist die höchste Effektivität zu erwarten. Die besiedelbare Fläche ist hierbei möglichst groß zu halten. Erstpflege der Flächen durch einmalige Mahd und Abräumen des Mähguts. Die besiedelbaren Flächen müßten extensiv von Schafen beweidet werden. Offene Bodenstellen, entweder künstlich angelegt als Erstpflegemaßnahme oder durch eine entsprechende Dauernutzung bewirkt, erleichtern die Eiablage. Gehölze sollten großflächig entfernt werden. Hilfreich für den Gebirgsgrashüpfer ist es, wenn die besiedelten oder für eine Besiedlung hergerichteten Flächen kleinmosaikartig bewirtschaftet werden.

Eine systematische Suche nach Arten der Begleitzönose des Gebirgsgrashüpfers kann zusätzlich besiedelbare und zu pflegende Flächen feststellen. Hierbei sind trockene bis mäßig feuchte Standorte, deren Stickstoffwerte als mäßig stickstoffarm eingeschätzt werden, zu bevorzugen. Als Untersuchungsräume sind die Zielregionen der Korridore besonders geeignet.

Gespräche der Naturschutzverwaltung mit der Wehrbereichsverwaltung und der Truppenübungsplatz-Kommandantur sollten auf die große Bedeutung des Gebirgsgrashüpfers für den Naturschutz in Baden-Württemberg hinweisen. Insbesondere wäre dabei die besondere Verantwortung Baden-Württembergs und aktuell auch der Wehrbereichsverwaltung für den Erhalt dieser Art hervorzuheben.

Literatur
Abschlußbericht, Februar 2000

Fördernde Institution
MLR

Förderkennzeichen
0159.E


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